Aura der Landschaft

Zur Pastellmalerei von Susanne Mull

EOS_2013_07_04_4185_webSusanne Mull liebt die Natur…sie sucht sie auf im heimatlichen Umland, in der sanften Hügellandschaft Rheinhessens – und sie schätzt gleichzeitig windumtobte, naturbelassene Regionen wie etwa die nördlichste Spitze Dänemarks, wo Ost- und Nordsee aufeinander branden und sich packende Naturschauspiele bieten…

 

Hieraus schöpft die Künstlerin ihre Grundintention: Sie lädt den Betrachter ein, einzutauchen in atmosphärisch dichte Landschaften – lässt nacherleben, wovon sie selbst in der Natur gepackt worden ist…

Meisterlich gelingt ihr dies mit dem Motiv >In den Weinbergen<: Eine mit unendlichem Blick festgehaltene Landschaft in warmer Farbatmosphäre öffnet sich hier dem Betrachter. Die dem Goldenen Schnitt angenäherte Grundproportion unterteilt den Bildraum in zwei Zonen. Dabei zieht die linearperspektivisch betonte Komposition mit kräftigem Tiefenzug in den Bildraum. Der Vordergrund wird von geschwungenen Weinbergzeilen begrenzt und mit den stärksten plastischen Werten ausgestattet – sie geben dem Auge Halt, denn in der Tiefe staffeln sich die unterschiedlichen Vegetationsstreifen bis hin zum Verschwimmen im Horizont. Über ein sanftes Echo in >Rot – Orange<, das alle Bildzonen verklammert,  entsteht eine harmonische Verbindung von Nähe und Ferne – bis hin ins >Nicht-mehr Fassbare<…Von Menschen leergeräumt, bleibt die >lautlose Landschaft< bei sich und verweist allein in der Geometrisierung, in der >Lenkung der Wachstumszonen< auf die intensive Nutzung als Kulturlandschaft. Gleichzeitig ist sie als einladende Landschaft erfasst, als Ausblick auf ein Stück Natur, das auch einer romantischen Auffassung durchaus offensteht…

An die Nordspitze von Jütland führt Susanne Mull den Betrachter mit ihrer Skagen-Serie.  Die ins Meer ragende Landschaft mit der nördlichsten Stadt des dänischen Festlands, geprägt von einem hohen Himmel und besonderem Licht, ist wie geschaffen für Landschaftsmaler. Das Faszinosum >Himmelszone< bannt den Blick: Wolkengebilde werden primär, die konstant in Bewegung sind, aussehen wie Dinge, ständig ihre Form verändern und auf geradezu poetische Weise die Fantasie des Betrachters anregen. Susanne Mull hält das Momentane, das immer Einmalige fest: seien es bleigraue, regenschwere Formationen oder in heller Farbtransparenz sich aufbauende Gebilde.

Lässt man sich auf eine mögliche Bedeutungsebene ein, dann führen Wolkenbeobachtungen über das Alltägliche, Flüchtige direkt zur Metapher >Vergänglichkeit<…

Die Erdzone zeigt alles Charakteristische einer Küstenlandschaft: mit Sanddünen, mit schützendem widerstandsfähigem Dünengras, mit einer Vegetation, die sich hier durchsetzt.

Es ist die Stärke solcher Landschaftsauffassung, dass sie über Details wie Gesamtaussicht eine dramatische Bildwirkung erzielt, der sich kaum einer entziehen kann. Diese Pastelle bestehen ohne Pathos – als Malerei. Es sind Landschaften zum Staunen, zum Staunen über die unendlich weit aufgespannte Ferne wie über die >anfassbare Dinglichkeit< aus der Nähe – dazwischen: Nuancen von Übergängen, vom Raumtiefe…alles zusammen ergibt die >innere Melodie<, den künstlerischen Klang dieser Landschaften.

In intensiven Momenten wird das Bild zu einem Fenster, das nach außen wie auch meditativ nach innen führt! Denn, wo auch immer Wahrnehmbares anzutreffen ist, beginnen wir zu interpretieren, wollen verstehen, was für einen Sinn diese Kunstformen haben, welche Botschaft sie uns vermitteln wollen(?)…Keinesfalls erschöpfen sie sich in der Intention einer getreuen Wiedergabe der Welt. Selbst bei dieser hohen Verpflichtung gegenüber der Naturnähe gilt dennoch, dass ein Bild nicht die Wirklichkeit pur zeigt, sondern stets den künstlerischen Zugriff offenbart, die Art und Weise, wie die Realität wahrgenommen und angeeignet wird – oder: wie hier von Susanne Mull >Realität konstruiert< wird. Dies ist zu sehen vor dem Hintergrund so mancher Künstler-Statements – etwa: >als guter Realist muss ich alles erfinden! <

Die Pastellmalerei von Susanne Mull ist mehr als Abschilderung von Objekten und deren Bezügen – denn nicht der fotografische Blick auf Landschaft ist allein entscheidend – wie es vielleicht der erste Bildeindruck  suggerieren könnte – nein, es findet eine künstlerische Umsetzung des Gesehenen statt.

Susanne Mull spielt mit der Dimension des Raumes, mit der Bildaufnahme aus nächster Nähe wie auch mit der ganzheitlichen Aufnahme auf Distanz – keine Tiefenschärfe im Detail ist dabei ihr Ziel – sie sucht eher im Nahegelegenen die Auflösung der Formen in impressionistischer Manier.

Man mag die Landschaften affirmativ-bildhaft nennen, ohne weitere Transformation – doch diese Sicht vernachlässigte die Sinnhaftigkeit, die Bedeutungstiefe dieser Kunst. So liegt eine der finalen Intentionen von Susanne Mull im appellativen Charakter ihrer Kunst, im Appell, sich für dieses Genre zu begeistern, sein Auge zu schärfen und Emotionalität für die Schönheiten der Natur zu entwickeln – sei sie intensiv gepflegte Kulturlandschaft oder wild belassene Urtümlichkeit.

Die Präsenz, die Kraft der Dinge in ihrem So-Sein zu zeigen, das Sichtbare als Erscheinung zu bejahen und zu bewahren, dies sind weitere konstitutive Säulen ihrer Kunst.

Geschöpft aus Lebensfüllen und Lebensfreude gelingt so der Künstlerin aus eigener, innerer Kraft – und abseits von Moden der Kunst – eine packende Hommage an die Natur – ohne diese ins Erhabene zu steigern!

 

Mainz, im Dezember 2013                                                          Dr. Otto Martin, Kunsthistoriker

 

 

Über die Künstlerin

EOS_2013_07_04_4184_webNach jahrelangem „Sammeln“ – zeichnerisch, malerisch, fotografisch – hat Susanne Mull offensichtlich ihr Sujet gefunden: In der rheinhessischen Landschaft scheint sich für sie all das gestalterisch zu verdichten, was sie immer gesucht hat.

Die klar strukturierte, unspektakuläre Kulturlandschaft, die seit ewigen Zeiten vom Weinbau und dem Verlauf des großen europäischen Flusses, des Rheins, geprägt ist, zieht sie in ihren Bann.

Sie führt uns die ästhetische Sensation im Authentischen vor Augen – ohne manierierte Überhöhung beschreibt sie akribisch und gleichzeitig hoch emotional die Schönheit der Region, in der sie lebt.
Sie zelebriert in ihrer Malerei das weiche Licht dieses Landstrichs, das viele mit der atmosphärischen Ausstrahlung Oberitaliens vergleichen.

In der neuesten Werkreihe „Hommage an Rheinhessen“ begegnen sich dokumentarischer Realismus und poetische Naturbetrachtung in eindrucksvoller Form.

Dietmar Gross, 2012

Fotoaufnahmen der Künstlerin mit freundlicher Genehmigung von Martin Kosa.